Persönlichkeiten der Gemeinde

Carl Franke geboren am 2. April 1897, war in und um Großpostwitz ein bekannter und beliebter Mensch, er war tätig als Lehrer, Kunstmaler, Fußballer, Liedermeister, Leiter des Männergesangvereins, Masseur und Sportsfreund. Seine zahlreichen Bilder waren und sind in der Bevölkerung sehr beliebt und verwurzelt.
Karl August Katzer geboren am 3. Dezember 1822 in Berge als Sohn eines Häuslers und Stellmachers, gestorben am 19. Mai 1904, war bekannt als sorbischer Komponist, Lehrer und Kantor. Er gilt als Begründer der sorbischen Kirchenmusik, war ferner Organisator sorbischer Gesangsfeste, war Schöpfer der sorbischen Nationalhymne "Na serbsku Luzicu" (An die sorbische Lausitz) und der ersten sorbischen Oper (Jakub a Katha, 1861) schrieb Kantaten (Die Jahreszeiten, 1860/87), Oratorien, Liedzyklen und Chöre.
Er war Heimatforscher, Lehrer, freischaffender Schriftsteller und ein Naturmensch - ein Naturwissenschaftler der 30er Jahre. Vor dem zweiten Weltkrieg war er als Lehrer tätig, nach 1945 war er Kreisdenkmalpfleger und ein guter Kenner des Oberlausitzer Berglandes, viele Bau- und Kunstdenkmäler im Kreis Bautzen wurden durch ihn inventarisiert sowie dokumentiert. Die Schriftenreihe "das schöne Bautzener Land", welche auf 13 Bände wuchs, brachte Schütze heraus, ebenso "Pflanzen des Mittellausitzer Berglandes" und zahlreiche Oberlausitzer Geschichten. Für seine Arbeit wurde der Heimatforscher und Volkskundler mit der Johannes R. Becher Medallie in Gold ausgezeichnet. 1958 trat er dem naturwissenschaftlichen Arbeitskreis bei und engagierte sich in Vereinen und Organisationen. Auch für die Belange seiner Gemeinde setzte sich der Großpostwitzer aktiv ein. Er starb nach einem erfüllten Leben am 16. April 1986 im Alter von 86 Jahren.
Michal Frencel, von dem ein Grabmal auf dem alten Friedhof neben der evangelischen Kirche kündet, wirkte hier von 1662 - 1706 als Pfarrer. Er wurde zum Begründer der obersorbischen Schriftsprache indem er das neue Testament ins Sorbische übersetzte. Damit handelte er sich allerdings eine ganze Menge Schwierigkeiten mit der damaligen Obrigkeit ein. Den Druck dieses, seines Werkes 1706 erlebte er aber nicht mehr.


Zum 300. Todestag von Michal Frencel (Michael Frenzel) (1628-1706)

von Karlheinz Tyfa

Blättern wir in der Geschichte unseres Ortes Großpostwitz, so finden wir viele berühmte Persönlichkeiten, die in der Vergangenheit durch ihre schöpferische Tätigkeit sich und der Allgemeinheit und der steten Weiterentwicklung ein unvergessenes Denkmal setzten.
Zu ihnen gehört auch der sorbische Pfarrer und Sprachwissenschaftler Michal Frencel (Michael Frenzel).
Er, am 02.02.1628 als Sohn eines domstiftlichen Verwalters und Dorfrichters in Pietschwitz (Becicy) bei Göda (Hodzij) geboren, besuchte das Gymnasium in Bautzen und die Fürstenschule in Meißen, studierte in Leipzig Theologie und trat 1651 als Geistlicher sein Amt in Kosel (K?zty) bei Niesky an.
Im Jahre 1663 wurde er zum Pfarrer in Großpostwitz (Budestecy) ernannt, wo er bis zu seinem Tode am 29.06.1706 wirkte. Die Grabplatte Michael Frenzel`s und seiner Frau gehören heute noch zu den denkmalpflegerisch wichtigsten Zeugen des Kirchhofes unserer Gemeinde.
In der Reformationsbewegung im 16. Jahrhundert traten auch in der Lausitz viele Feudalherren zum evangelischen Glauben über. Um ihre neuen Machtpositionen zu festigen und auszubauen, waren sie gezwungen, da die Mehrheit der Sorben nur ihrer Muttersprache beherrschten, sorbische Untertanen zu sorbischen Geistlichen ausbilden zu lassen, um den Fronbauern absoluten Gehorsam zu predigen.
So bekam eine beträchtliche Anzahl sorbischer Untertanen die Möglichkeit, sich eine entsprechende Bildung anzueignen. Diesen Geistlichen gebührt große Anerkennung für die Entwicklung der sorbischen Sprachen und der sorbischen Literatur.
Diese positiven Entwicklungen wurden aber durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges stark gehemmt und konnten erst in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts ihre Fortsetzung finden.
Einer der ersten Sorben, die eine umfangreiche Bildung besaßen, war Michael Frenzel. Hier, in unserem Ort, begann er seine Arbeiten über das sorbische Schrifttum und damit seinen lebenslangen Kampf mit den "Lausitzer Ständen", welche nur ein Ziel verfolgten, die sorbische Sprache zu negieren und das sorbische Schrifttum zu hemmen, zu beseitigen. Geistliche wie Michael Frenzel, die für das sorbische Volk, für die Fronbauern sorbisch schrieben, waren nicht nach dem Geschmack der herrschenden Stände.
Bald spürte auch Pfarrer Frenzel die Willkür der Obrigkeit. So rief er 1660 seine sorbischen Mitbrüder auf, sich zu einigen, um mit vereinten Kräften für ein menschenwürdiges Dasein der sorbischen Untertanen zu streiten.
Von 1670 an arbeitete Michael Frenzel mit ganzer Kraft an der Übersetzung des Neuen Testaments ins Obersorbische und gab somit erstmalig der obersorbischen Sprache eine gültige schriftliche Form.


Michal Frencel

AUS DER DEUTSCHEN VORREDE EINER SORBISCHEN PREDIGT AUS DEM JAHR 1688

Auszug

Uns Wenden ist bei anderen Nationen ein gar schlechter Ruhm, dass wir außer dem Katechismo, den sieben Bußpsalmen und den zwei ersten von mir übersetzten Evangelisten (wiewohl die Exemplaria aller dieser Schriften sich ziemlich verloren und fast rar worden) in unserer oberlausitzer wendischen Sprache nichts haben. Daher auch unsere Wenden sich in ihrem Christentum selber wenig helfen können, weil sie keine wendischen Schriften haben, halten daher auch ihre Kinder fast ungern zur Schule, dannenhero das junge Volk nicht am besten aufwächst, teils, weil ihre Eltern solche nicht in der Zucht und Vermahnung auferziehen, indem sie in vielen Orten wegen fast täglichen Roboten und Hofdienste vom Morgen bis auf den Abend kaum soviel Weile und Zeit haben, dass sie selber für sich können beten…
Man hat nicht Ursache, der wendischen Sprache sich zu schämen; hat doch wohl mancher der wendischen Sprache es zu danken, dass er befördert worden: wenn etliche Herren von Adel nicht wendische Bauern hätten, es stünde gar schlecht um sie. Es ist solche Sprache nicht etwa eine neue und aus vielen Sprachen zusammengeraffte und gestoppelte Sprache, wie etliche in den Linguis und historiis (= in den Sprachen und der Geschichte) Unbewanderte vermeinen…


1688

Da das sorbische Volk sehr arm war, fand er auch keinerlei Finanzierung für den Druck seiner Übersetzungen. Daraufhin ließ er viele Teile davon auf eigene Kosten drucken. Der Obrigkeit waren diese Übersetzungen ein Dorn im Auge, und so wurden auf Veranlassung der "Oberlausitzer Stände" seine Arbeiten konfisziert.
Frenzel gab aber seinen Kampf nicht auf und wandte sich mit der Beschwerde an den Kurfürsten in Dresden und bekam seine Bücher zurück. Die Bautzener Stände erhielten die Aufforderung für den Druck zu sorgen und dafür 200 Gulden zu bewilligen. Dieses Geld wurde aber niemals bezahlt.
Für die Übersetzung des Neuen Testaments nutzte Frenzel neben griechischem, lateinischem und deutschem Bibeltext auch polnischen und tschechischen. Dafür bildete er eine analogische Schreibweise, analog dem tschechischen Alphabet unter Berücksichtigung des Polnischen mit lateinischer Schrift und besonderen sorbischen Buchstaben wie dz, ž, e und anderen. Diese neuen sorbischen Buchstaben ließ er selbst gießen, als er die ersten Seiten des Neuen Testaments für den Druck vorbereitete. Um den Druck seiner Arbeiten zu gewährleisten, musste er aber auf Anordnung der Stände auf die analogische Schreibweise verzichten und das deutsche Alphabet übernehmen, welches völlig ungeeignet für die slawische Sprachen war. Schließlich konnten seine Übersetzungen im Jahre 1706 gedruckt werden und wurden somit zur Grundlage für das obersorbische Schrifttum.
Trotz vieler Niederlagen, die Frenzel einstecken musste, gab er niemals auf, auch als ein verheerender Brand in der Pfarrei vieles Schriftgut vernichtete.
Hervorzuheben ist aber auch die Frau von Gersdorff, eine Gönnerin für den Druck des Neuen Testaments.
Erst nach dem 1. Weltkrieg setzte sich die so genannte analogische, slawische Schreibweise durch.
Hochzuwürdigen ist Frenzel's steter Kampf gegen Vorurteile gegenüber dem sorbischen Volk. Als 1697 Zar Peter der Große durch Sachsen reiste, übergab er ihm seine Bibelübersetzung und weitere Werke mit Widmung in sorbischer und lateinischer Sprache. In einem Brief, einer Dankschrift, an den Zaren verwies Frenzel auf die Verwandtschaft der Sorben mit der russischen Nation und anderen slawischen Nationen. Er bezeichnete den Zaren als Slawen aller Slawen. Diese Wechselkeit untermauert Frenzel auch im Vorwort seiner Arbeit "Postwitzscher Taufstein". Mit dieser Erwähnung ist unsere Kirchgemeinde nicht nur in die Geschichte eingegangen, sondern auch in die Literatur. So können wir mit Fug und Recht sagen, dass Michael Frenzel's Übersetzungen geistlicher Schriften eine außerordentliche sprachschöpferische Leistung in der damaligen Zeit des Pietismus (protestantische Bewegung besonders im 17.-18. Jahrhundert) darstellen.
Als Begründer der obersorbischen Sprache legte somit Michael Frenzel den Grundstein für mannigfaltige literarische Tätigkeiten in der Epoche der Aufklärung.
Diese seine vielfältigen Bemühungen und Bestrebungen führte sein Sohn Abraham Frenzel (1656-1740) fort.

Literatur: Die Sorben - Wissenswertes aus Vergangenheit und Gegenwart der sorbischen Minderheit
Serbšcina - 2. Studijny list
Um Bautzen und Schirgiswalde von Theodor Schütze
Mosaik - Lesestoffe aus der sorbischen Literatur
Vita:

Jahrhundertelang ist die Oberlausitz Gegenstand eifriger naturkundlicher Forschung. Dieser Naturraum wurde sogar zu "einer Hochburg der Entomologie" und das in Deutschland entomologisch am meisten durchforschte Gebiet.
Eine Anzahl von Liebhaber- Entomologen und Insektenforschern lebte in der Oberlausitz und widmete sich hier den Fragen der Systematik und Faunistik, aber auch der Ökologie und angewandten Entomologie. Sie kamen aus den verschiedensten Berufen, arbeiteten aus eigenem Antrieb, teils völlig selbstständig, teils unter berufener wissenschaftlicher Führung. Wohl alle, Liebhaber wie Spezialisten, arbeiteten aus dem Bedürfnis des menschlichen Geistes, Neues auszukundschaften, Unerforschtes zu untersuchen und verborgene Zusammenhänge aufzuhellen.
Es wuchsen heran verdienstvolle, in der heimischen wie auch in der internationalen Fachwelt namhaft gewordene Entomologen, zu denen auch der 21. April 1821 in Ebendörfel geborene Michael Rostock gehört. Rostock war naturwissenschaftlich vielseitig interessiert und auch tätig. Er schrieb und publizierte Abhandlungen zu Fragen der Astronomie, Geologie, Mineralogie, vor allem aber zu Fragen der Botanik und Zoologie.
Michael Rostock wirkte zunächst als Hilfslehrer in Göda, danach als Lehrer in Dretschen und verbrachte seinen Lebensabend in Gaußig, wo er am 17. September 1893 verstarb.
Während seiner vierzigjährigen Dienstzeit durchforschte er systematisch die Tier- und Pflanzenwelt der engeren und weiteren Heimat. Sein bevorzugtes Forschungsgebiet war der große Picho. Rostock ließ keinen Tierstamm unbeobachtet. Sowohl auf dem Gebiet der Zoologie als auch der Botanik leistete er Beachtliches; die Heimatforschung verdankt ihm viel. Rostock stand mit vielen bedeutenden deutschen und ausländischen Naturforschern in persönlicher brieflicher Verbindung. Sehr zugute kamen ihm dabei seine umfangreichen Sprachkenntnisse. Mit auswärtigen wissenschaftlichen Gesellschaften knüpfte er Beziehungen an und lieferte ihnen für ihre Sammlungen Pflanzen und Tiere. Seine Neuentdeckungen auf dem Gebiete der Entomologie und unter den Pflanzen seiner Heimat fanden internationale Anerkennung.
Der systematischen Bestandserhebung der in der sächsischen Oberlausitz vorkommenden Neuropteren widmete er dann Jahrzehnte seine ganze Aufmerksamkeit.
Verwiesen werden soll auch auf seine Bemühungen um die Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse und auf die Erhöhung der naturwissenschaftlichen Volksbildung.


Zum 185. Geburtstag Michal Rostok (1821-1893) (Michael Rostock)

von Karheinz Tyfa

In Ebendörfel (Belšecy), einem ehemaligen slawischen Weiler und heutigem Ortsteil der Gemeinde Großpostwitz, wurde im Haus Nr. 30 am 21. April 1821 Michael Rostock als Sohn eines armen sorbischen Häuslers und Schneiders geboren, der die meiste Zeit seines Lebens als Volksschullehrer tätig war und als Botaniker (Pflanzenkundler) und auf zoologischen Gebiet als Entomologe (Insektenforscher) zu den bedeutendsten sorbischen Naturwissenschaftlern zählte und zählt.
Nach seinem Studium, welches er erfolgreich absolvierte, wurde er zunächst als Dorfschullehrer in Göda (Hodzij) und später im Jahre 1844 in der kleinen Landschule in Dretschen (Drjecin) eingesetzt. Hier wirkte er 40 Jahre lang als Lehrer.
Neben seiner verantwortungsvollen pädagogischen Tätigkeit ist besonders seine tiefe Verbundenheit zur Natur, zu seiner Heimat und zum sorbischen Volk hervorzuheben.
Schon von seiner Schulzeit an sammelte er in der Lausitz und im nachbarlichen Tschechien seltene Pflanzen, die er für verschiedene Museen verfügbar machte und darüber hinaus führte er als junger Mensch eine umfangreiche Korrespondenz mit angesehenen Gelehrten. Besonders die urwüchsige und doch so vielfältige Landschaft am Berge Picho regte den jungen agilen Rostock zu ausgiebigen naturwissenschaftlichen Studien an.
Hochzuwürdigen ist, dass er neben der lateinischen und deutschen Benennung der Pflanzen und Insekten auch die sorbische erbrachte. Sorbische Namen, die er für diese Genres (Gattungen) nicht fand, benannte er nach tschechischen, polnischen und russischen Bestimmungen.
Bereits mit 18 Jahren begann er ein sorbisches "Handbuch der Pflanzenkunde" zu schreiben. Aus seiner Schaffensperiode liegen von ihm noch viele ungedruckte Manuskripte vor, aber 11 umfangreiche wissenschaftliche Arbeiten in deutscher und 68 in sorbischen naturwissenschaftlichen Studien.
Diese handschriftlichen Niederschriften aus der "sorbischen" Flora und Fauna wurden größtenteils ins sorbische Wörterbuch Pfuhls übernommen.
Jan Radyserb Wjela und M. Urban, zwei sorbische Persönlichkeiten, gaben 1908 Rostocks "Sorbische Pflanzennamen" heraus. Und eine Reihe von Aufsätzen in Zeitschriften rundet (sein) Rostocks naturwissenschaftliches Wirken ab.
Der strenge und exakt arbeitende Wissenschaftler zeigt uns aber auch eine unverhoffte andere Seite seiner Persönlichkeit, die eines Literaten. All seine Beobachtungen in der schier unerschöpflichen Natur, ob im Wald, in der Heide, im Gebirge oder in der Teichlandschaft spielen sich in seinen Erzählungen und Schilderungen wieder, dabei schließt er niemals das menschliche Dasein aus. Für ihn bilden Mensch und Natur eine unzertrennbare Einheit.

Mit der wunderbaren Schilderung der Jahreszeit "Der Winter" möge die Erinnerung an Michael Rostock für uns wach bleiben.


DER WINTER - Michael Rostock

Er lässt sich nicht länger aufhalten, der eisgraue Winter, mit seiner vom Norden einbrechenden Kälte, mit seinen Schneeflocken, mit Eis und mit Schneegestöber. Der Winter zieht ins Land. Seine Vorboten sind Eiszapfen am Brunnen, Eisspiegel auf den Bächen und Wassergräben und die Wildgänse, die wie ein Spuk hoch am Himmel dahinrudern. Ihre rauen heiseren Stimmen melden den Einzug des strengen Herrn an.
Wir blicken des Morgens zum Fenster hinaus. Sieh an! Die Dächer sind weiß, über Nacht hat es geschneit. Jeder Zaunpfahl hat sein Mützchen. Jetzt fängt es wieder an; still fallen zunächst nur einzelne Flocken, nun aber wirbeln sie durcheinander, wie ein weißes Gespinst. Die winterliche Landschaft breitet sich vor uns aus. Mit stiller Freude betrachten wir sie. Vom Nordosten beginnt der Wind zu wehen, der eine stille, schneidende Kälte mit sich bringt. Der Bach, der Teich und der See frieren zu.
Gras und Strauchwerk sind dünn beeist. Wenn ein Lichtstrahl auf sie fällt, werfen sie ihn als kleinen, bunten Blitz zurück. Größere Gewässer sind noch eisfrei und schlagen dunkle, zornige Wellen. Sie wehren sich gegen die Eisfesseln, mit denen sie der Winter binden will.
Weiße Nebelsäulen bilden sich; die Abendsonne bedeckt sie mit Purpur, vom Mond werden sie nicht beschienen. Es folgt eine grausig kalte Nacht. Der See ist gefesselt; hart wie Stahl ist die Eisdecke, an den Rändern grau, nach der Mitte zu dunkel, fast schwarz.
Für die Vögel, die uns nicht verlassen haben, beginnt eine traurige Zeit. Die Goldammer, die im Herbst gerufen hat "Bäuerlein, Bäuerlein, ich brauche dich nicht", kommt ins Dorf und bittet um ein Körnlein. Der rötliche, kleine Fink pickt hungrig an den wenigen Beeren, die am Holunderstrauch hinter dem Hause hängen geblieben sind. Sogar der scheue Rabe nähert sich den menschlichen Wohnungen. Der arme Teufel der Vogelwelt aber, der verfressene Spatz in seinem grauen Röckchen, mit dem dicken rötlichen Kopf und seinen rußfarbenen Wangenflecken, hat jetzt Fastenzeit. Hier sitzt er nun, der Prahlhans, zusammengeduckt unter seinesgleichen, die Federn rundum struppig, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, dass nur der Schnabel und die Äuglein zu sehen sind, oder er kauert einsam in einem Eckchen, an einem Fensterrahmen oder am Schornstein, um einen Strahl der Wintersonne oder den warmen Hauch eines Kamins zu genießen, oder aber er klopft mit schmerzlichen Blick, um eine milde Gabe bittend, ans Fenster einer armen Witwe. Wo immer sich ein Scheunentor öffnet, schon ist er da und drängelt sich mit Gewalt hinein, und er pickt mit räuberischem Schnabel sogar an die Getreidesäcke auf dem Markt. - Im warmen und dampfenden Stall steht das Vieh, zieht schnaubend sein Heu aus der Raufe oder liegt friedlich wiederkäuend im Stroh.
Die Tür ist geschlossen. Im Ofen prasseln die brennenden Scheite, und auch im Herde flackert das Feuer. In der Stube ist es behaglich. Wer nicht hinaus muß, bleibt zu Hause.
Oft braust der Sturm tagelang, und dazu schneit es. Wild tobt es im öden Tal. Wie Meereswellen treibt es die Windsbraut die Schneemassen vor sich her, fegt sie über die Ebene und häuft Schneewehen zu Mauern und Wänden auf.
Ein rauer Wildling und eine würgende Todesgöttin ist der Winter besonders im Hochgebirge. Oft schon schreitet er im Oktober vom Alpen herab in die niederen Berge. Die Bäche frieren zu, und die Wasserfälle erstarren auf dem kalten Felsen zu mächtigen Säulen. Nur hier und da, an dem Winde besonders ausgesetzte Stellen, bleibt ein Eckchen schneefrei. Mit Mühe hält sich der Hirt einen Pfad frei zum gut verwahrten Stall, und die Birkhühner, die während des Schneesturms auf der Erde sitzen geblieben sind und sich einschneien ließen, suchen sich jetzt mit großer Mühe rund um die einsamen Heuscheuern ein Körnchen. Wiesel, Eichhörnchen, Marder, Hasen und Füchse aber verlassen nur höchst selten einmal ihre Höhle.
In den Alpendörfern erreicht der Schnee die Höhe großer Mauern. Die Seitentäler sind verweht, und der Verkehr ist dort oft völlig unterbrochen. Mit großem Aufwand nur lassen sich die Straßen frei halten. Mit Hacken, Schaufeln und Schlitten muß die Krone der Schöpfung gegen den Winter kämpfen und versuchen, ihn zu überwinden, der oft in einer Nacht, ja sogar innerhalb weniger Stunden das Werk seiner Hände vernichtet und die Anstrengung des Menschen zuschanden macht.
Spät graut in den Bergen der Tag, und das Licht gleicht oft mehr einer trüben Dämmerung als hellem Tageslicht. Kaum ist der Mittag vorbei, und schon dunkelt es wieder. In der Nacht krachen die Seen, der Frost spaltet Felsen und Bäume, und manches Vögelchen finden wir verstummt und tot. Auf dem alten Schnee fällt immer wieder neuer, entweder in feinen, silbernen Kristallen oder auch in großen Flocken.
Schrecklich ist in den Alpen der Schneesturm, der Bewohner der Ebene kann sich das kaum vorstellen. Zunächst ist alles still. Kein Blättchen rührt sich. Der Himmel ist grau, und am Hochgebirge hängt ein unheildrohender Nebelfleck, je höher, umso dunkler, wie dichter Nebel. "Bleibe hier", mahnt der Gewissenhafte den Wanderer, "lange wird es nicht dauern, und wir haben einen gefährlichen Schneesturm!" Und schon erschüttert ein Windstoß das ganze Haus, vom Giebel bis zum Keller. Die Hausbalken ächzen, Dachschindeln fliegen umher, und auch der leichte Schornstein ist schon beschädigt. Den Wanderer aber packt der Sturm und dreht ihn jäh um sich selbst. Tausende unheimliche Stimmen beginnen zu heulen. Man möchte meinen, jeder Berggipfel habe seine eigene Stimme und jede Bergschlucht ihr besonderes Klagelied. Zwischen all diesen Stimmen aber gellt es wie höllisches Hohngelächter. Der Sturm gebärdet sich wie der Teufel, und nichts ist vor ihm sicher. Es ist, als wolle der Sturm die letzte Stunde ankündigen. Seinen erbitterten Stößen lässt sich nichts entgegensetzen. Er jagt Schneemassen vor sich her, die sich wie Lawinen über en Weg wälzen und ihn verschütten, oder er bläst ihn weg, so dass das blanke Eis zum Vorschein kommt, wo eben noch dichter Schnee gelegen hat. Dann bricht der Sturm von neuen los, als ob er dich ununterbrochen mit Ruten peitschen wollte, und bildet einen Wirbel aus Schneeflocken und scharfkantigen Eiskristallen, der alles mitreißt, was in seinen gefährlichen Strudel gerät.
Wehe dem armen Wanderer, der sich hinausgewagt hat! Eilig weben ihm dunkle Mächte das Leichentuch. Am ganzen Leibe zitternd und mit vor Anstrengung blutroten Gesicht dreht er dem Sturm den Rücken zu und stützt sich auf seinen Stock. Er versucht wieder einige Schritte zu gehen. Jetzt stürzt er, rafft sich auf und fällt von neuem. Er wirft alles, was er bei sich hat von sich, um nur das nacktes Leben zu retten. Er ruft um Hilfe: Höhnisch antwortet der Sturm! Er blickt auf und vermeint, Funken vor den Augen zu sehen. Noch einmal rafft er sich auf, um gegen die entfesselten Elemente zu kämpfen. Vergebens: Er hat Weg und Steg verloren; die Sinne schwinden ihm; er ist blind, und sein Gedächtnis versagt. Mit dem Ruf "O Gott, ich kann nicht mehr!" fällt er in sein Schneegrab. Tiefe Müdigkeit umfängt ihn. Der Tod im Schnee ist leicht. Sein letzter Seufzer verklingt. Der Sturm heult weiter und weht Schnee über den Leichnam. Erst im Frühling findet ein Ziegenhirt den toten, aber gut erhaltenen Körper.
Doch der Winter ist auch schön. Er bringt uns nicht nur Stürme, Schrecken und Leid, sondern auch Freuden und sonnige Tage. Bietet nicht ein sonniger Wintertag ein herrliches, ja erhabenes Bild? Weithin ist das Land mit sauberem weißem Schnee bedeckt. Über ihm wölbt sich der wolkenlose, klare, blaue Himmel, von dem die Sonne goldene Strahlen herabsendet. Die Schneefläche gleicht einer mit Silber durchflochtenen und mit Edelsteinen besetzten Decke. An jedem Ästchen hängt zartes, blütenweißes Raureifgebilde, und die Bäume sind wie mit Silberfäden besponnen. Der Wasserfall ist erstarrt, blitzende Eissäulen ragen empor oder hängen herab und bilden geheimnisvolle Höhlen. Es ist, als hätte sich die Natur zu einem Fest schmücken wollen. Der Abend überzieht die Schneelandschaft mit zartem Purpur.
Wie kräftig, rein und erfrischend ist die Luft an einem sonnigen Wintertag! Wenn wir ausgegangen sind, kehren wir nicht verschwitzt, müde und staubig zurück wie im Juli, sondern verjüngt, fröhlich und abgehärtet.
Viele frohe Bilder bietet eine friedliche Winterlandschaft. Auf dem spiegelglatten blauen See gleiten flinke Schlittschuhläufer dahin, geschickt einander ausweichend. Unter fröhlichem Jauchzen bauen sich die Jungen einen Schneemann. Auf leichten Schlitten fahren sie schnell wie der Wind den Berg hinab. Und auf glatter Bahn saust ein Pferdeschlitten vorbei.
Auf dem nicht zugefrorenen, sumpfigen Teiche zeigt sich der prächtige Eisvogel mit rosafarbener Brust und himmelblauem, ins Grüne spielendem Gefieder. Eine braune Wildente mit glänzendem schwarzgrünem Köpfchen stürzt sich lärmend in den Sumpf, aus dessen Tiefe grüne Pflanzen wie ein untergetauchter Frühling emporschauen. Dort, wo die Wintersaaten nicht vom Schnee bedeckt sind, lässt sich ein Flug vorsichtiger Wildgänse nieder. Die lebhafte Wasseramsel stimmt an sonnigen Tagen in der Mittagsstunde auf einsamen Waldwiesen ihr einförmiges Liedchen an. Der Kreuzschnabel brütet.
Über Nacht erblühen an den Fensterscheiben Eisblumen, eine Filigranarbeit. Obwohl die Blumen des Duftes entbehren, sind sie ein Beweis dafür, dass die schöpferische Kraft der Natur nicht ganz erloschen ist. Auch das Grün der Tanne verschönt die öde winterliche Landschaft. Herrlich glänzen in der kalten Winternacht die Sterne, viel schöner als in den Nächten der anderen Jahreszeiten. Die prächtigen Sternbilder stehen am Himmel. In der angenehm durchwärmten und erleuchteten Stube schnurrt das Spinnrad, und Geschichten werden erzählt. Knecht Ruprecht klappert vor dem Fenster mit einem Sack voll Nüsse und will wissen, was die Kinder gelernt haben, die sich indessen ängstlich an die Mutter schmiegen. Die lieblichste Erscheinung aber ist das Christkind selbst. In der Finsternis der Winternacht zeigt sich als schönster Stern das Weihnachtsfest.
Mit der ärmlichen Krippe mahnt die Kirche den Reichen, Glücklichen, dessen Fuß im hell erleuchteten, warmen Zimmer auf weiche Teppiche tritt, des Armen nicht zu vergessen, der im eiskalten Kämmerchen hungert und friert, und nicht des Waisenkindes, das keinen Christbaum hat, keine Kinderfreude und am Heiligen Abend nichts als trocken Brot, um sich zu sättigen. Hörst du nicht, wie selbst der kalte Wind dem Armen hilft, an dein Fenster zu klopfen!
So flicht sich um uns, wie ein buntes Band, der Wechsel der Jahreszeiten: der junge, fröhliche Frühling mit seinen schweren, sich neigenden Ähren, der besinnlich-bedächtige Herbst mit seinen erfreuenden Trauben und der Winter mit seinem Schneegestöber und seinen liebenswerten Freuden im Haus.
Manchmal möchte man die warmen Länder glücklicher preisen, welche diesen Wechsel nicht kennen, in denen nach einer kurzen Regenzeit während des ganzen Jahres die Sonne am wolkenlosen blauen Himmel steht, in denen alles in reicher Fülle blüht und zwei Ernten die Einwohner erfreuen. Aber hat nicht auch das regelmäßige Erwachen der Natur, dieses Entstehen und Vergehen seinen tiefen Reiz? Wer sollte dies leugnen?

etwa 1871

Literatur: Serbšcina - 2. Studijny list
Um Bautzen und Schirgiswalde von Theodor Schütze
Mosaik
Lesestoffe aus der sorbischen Literatur